Historie

VERBINDUNG ZWISCHEN AUFSTREBENDEN INDUSTRIESTÄDTEN

Solingen und Remscheid gehörten gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrer Schneidwaren- und Werkzeugproduktion zu den aufstrebenden Industriestädten im deutschen Kaiserreich. Zum Transport von Waren wurden beide Städte unabhängig voneinander an das Eisenbahnnetz angeschlossen, jedoch an verschiedene Linien und ohne direkte Verbindung zueinander. So lagen in der Luftlinie zwar nur acht Kilometer zwischen Remscheid und Solingen, doch der kürzeste Schienenweg betrug 44 Kilometer und führte über Vohwinkel, Elberfeld und Barmen.

Deshalb wurde die Forderung nach einer direkten Verbindung laut. Sie sollte nicht nur die Verkehrsbeziehung zwischen den Städten beleben, sondern auch den Weg zu den Industrien, Märkten und Verkehrswegen am Rhein ebnen. Das tief eingeschnittene Tal der Wupper forderte jedoch eine aufwändige und teure technische Lösung. Deshalb war es nicht leicht, den preußischen Staat von der Notwendigkeit des Brückenbaus zu überzeugen.

1890 konnten sich die beiden Städte durchsetzen: Der preußische Landtag genehmigte knapp fünf Millionen Mark für den Bau einer direkten Eisenbahnverbindung von Remscheid nach Solingen, inklusive der Errichtung der Brücke über die Wupper. Die Städte trugen den Grunderwerb.

Die Königliche Eisenbahndirektion Elberfeld erhielt den Auftrag, das Konstruktionssystem festzulegen und die Bauarbeiten zu vergeben. Ende 1891 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, im Juli 1892 lagen Entwürfe für eine Gerüst-, eine Ausleger- und eine Bogenbrücke vor.

Die Bogenbrücke erhält den Zuschlag

Der Vorschlag der Gutehoffnungshütte in Oberhausen fand keine Zustimmung: Die Gerüstbrücke mit 20 Pfeilern und einer Spannweite von maximal 30 Metern hätte das gesamt Tal optisch entschieden beeinträchtigt. Auch die Firma Harkot aus Duisburg überzeugte nicht: Ihre Auslegerbrücke wäre zu teuer geworden. Den Zuschlag erhielt die Brückenbauanstalt Gustavsburg der Maschinenbau- und Aktiengesellschaft Nürnberg (heute MAN) für ihre ambitionierte Konstruktion: Eine Bogenbrücke mit beidseitigen Gerüstbrücken. Der Vorteil: Die Brückenpfeiler standen auf festem Untergrund, auf einen mittleren Pfeiler im Flussbett konnte verzichtet werden. Die Herausforderung: Der eingespannte Bogen, der statisch nur sehr kompliziert zu berechnen war. Innovativ war auch das Material: Flussstahl statt Schmiedeeisen.

Der Bau beginnt

Bevor der Bau der Riesenbrücke am 26. Februar 1894 mit dem ersten Spatenstich begann, waren bereits zahlreiche Vorarbeiten erledigt. So wurde etwa eine Gerüstbrücke als Transportweg für Baumaterialien aufgestellt, Werks- und Lagerplätze wurden eingerichtet, die Stromversorgung vorbereitet. Die meisten Maschinen – Pumpen, Kräne, Betonmaschinen oder eine Materialbahn – wurden elektrisch betrieben, außerdem sollte die Baustelle bei schlechten Lichtverhältnissen gut ausgeleuchtet werden.

Vor Ort starteten 1894 die Erdarbeiten für Pfeiler und Widerlager, in der Brückenbauanstalt Gustavsburg wurden die stählernen Brückenteile hergestellt. Ziel war es, möglichst viel im Werk zu fertigen, um die Arbeiten, vor allem das Nieten, vor Ort zu minimieren. Tätigkeiten in großer Höhe waren nicht nur gefährlich, sondern auch nur schwer so exakt und sorgfältig auszuführen wie in einer überdachten Werkshalle zu ebener Erde.

Der Bogenschluss

Im Frühjahr 1895 wurde es spannend: Auf Solinger und Remscheider Seite startete zunächst die Montage der Gerüstpfeiler, im Sommer 1896 die des großen verbindenden Bogens. Unter den Blicken vieler Schaulustiger arbeiteten die Monteure in schwindelnder Höhe. Der freie Vorbau war dabei die größte Herausforderung: Die beiden Seiten wuchsen aufeinander zu – ganz ohne Gerüst. Die Hauptarbeit der Bogenmontage fiel in die Wintermonate 1896/1897. Die Vorkrakungen, an deren Spitzen Drehkrane stehen, waren heftigem Wind ausgesetzt. In der letzten Märzwoche toben fast täglich heftige Stürme, begleitet von starken Gewittern. Trotzdem wurde der Bogen am 21. März 1897 geschlossen und am 22. März die letzte von 950.000 Nieten eingeschlagen, von Musik begleitet.

Einweihung im Juli 1897

Die Ingenieure und Arbeiter hatten dem Wind und Wetter getrotzt, um den engen Zeitplan einzuhalten: Der Bogenschluss, zugleich „Richtfest“ für die „Thalbrücke bei Müngsten“ war festgelegt auf den 22. März 1897, dem 100. Geburtstag von Kaiser Wilhelm I., einem nationalen Feiertag im Kaiserreich.  Am 3. Juli 1897 fuhr die erste, mit Kränzen geschmückte Lokomotive über das Bauwerk, am 15. Juli wurde sie feierlich eingeweiht und für den Verkehr freigegeben. Kaiser Wilhelm II. wurde zur Einweihung zwar eingeladen, ließ sich aber von Prinz Leopold von Preußen vertreten. Der Kaiser besuchte die Brücke erst zwei Jahre später, am 12. August 1899.