Bedeutung
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wetteiferten europäische Ingenieure und Baufirmen darum, sich gegenseitig zu übertreffen: Welche Brücke spannt den weitesten Bogen? Wie lässt sich der Stahlverbrauch senken und somit wirtschaftlich bauen?
Die Konstruktionen wurden immer größer und gewagter - dank neuer Materialien und neu erworbener Berechnungsgrundlagen für die Statik. Die Konstrukteure kamen häufig aus den neuen Technischen Hochschulen. Sie standen miteinander in Kontakt, tauschten Wissen aus, haben voneinander gelernt.
Aus diesem Wetteifern ging die Müngstener Brücke als deutscher Beitrag hervor. Sie ist Produkt eines bedeutsamen Zusammenspiels von wissenschaftlich-theoretischem Wissen und praktischer Umsetzung von Stahlkonstruktionen und Montagetechnologien im Großbrückenbau.
Als eine der ersten Stahlbrücken in Deutschland wurde sie im freien Vorbau errichtet: Die beiden Seiten des Bogens wuchsen aufeinander zu – ohne Gerüst. Das Vorbild hat Schule gemacht: Bis heute ist der freie Vorbau ein übliches Verfahren im Brückenbau. Bei dem riesigen Bauwerk belasteten die seitlichen Windkräfte den auskragenden Bogen. Erst nach dem Bogenschluss konnten Fahrbahnträger und Bogen gemeinsam die Aussteifung übernehmen.
Neue statische Berechnungstheorien kamen zur Anwendung. Die Konstruktion ist ein beidseitig eingespannter Bogen, dreifach statisch unbestimmt. Das machte die Berechnung sehr kompliziert: Für jeden neuen Bauzustand musste sie neu erstellt werden. Das verlangte besonderes Wissen der Ingenieure und zudem einen extrem hohen Rechenaufwand – ohne Computer, allein mit Hand und Rechenstab.
Erstmals kam auch ein neues Material zum Einsatz: Flussstahl statt Schmiedeeisen. Der eingespannte Bogen eignete sich, um den Materialverbrauch so gering wie möglich zu halten – mit viel Stahl unten beim Auflager und weniger Stahl im Bogenscheitel.
Damit belegt das Bauwerk nicht nur die besonderen Fähigkeiten deutscher Ingenieurbaukunst im Wettbewerb der Nationen, es weist auch die Überlegenheit des neuen Materials nach.
Neuartige Konstruktionen wie die Müngstener Brücke hatten zudem auch zum Ziel, den Bezug zur Landschaft zu erhalten und sie zu bereichern. Wie gelungen sich der Bogen in das Tal der Wupper einpasst, bestätigt bis heute jeder Gast, der die Brücke besucht.